Sick-Aeroplane-Syndrome

Freitag, den 25. Juni 2010 um 00:00 Uhr Redaktion
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„Sick-Aeroplane-Syndrome“ – so könnte man eine weitere Multisystemerkrankung mit umwelt- und arbeitsmedizinischer Relevanz bezeichnen.

Sowohl Vielflieger wie auch das fliegende Personal von Airlines werden in zunehmendem Maße durch flugtechnisch bedingte physikalische, biologische und chemische Belastungen in ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden gefährdet.


Physikalisch ist dabei der Einfluss der kosmischen Höhenstrahlung von Bedeutung, deren Menge nicht nur von der Flugdauer sondern v.a. von der Flugroute bestimmt wird. Transatlantikflüge und Fernostreisen setzen die Flugzeuginsassen dabei oft der 5-10fachen Ionenmenge aus als vergleichbare Nord-Süd-Routen. Die gesundheitlichen Auswirkungen gehen bei akuter Belastung meist nicht über Befindlichkeitsstörungen hinaus. Bei chronischer Exposition hingegen sind die Folgen oft erst nach Jahren als Krebserkrankung erkennbar.

Im Laufe der Gesamtbetriebsdauer eines Flugzeuges wird das Fluggerät immer schwerer. Ursache ist die Ansammlung von Kondenswasser in den Innenabdeckungen der Rumpf-, Kabinen- und Cockpitwände. Dies bietet den idealen Nährboden für Schimmelpilze, die durch die Entstehung von Sporen und Mycotoxinen zur biologischen Belastung der Insassen führt. Allergische und toxische Reaktionen sind die Folge.

Chemische Belastungen sind entweder betriebsbedingt (Biozide) oder Folge von Betriebsstörungen (Berylliumstäube, Flugöldämpfe).

Während auch hier Beryllium bedingte Gesundheitsstörungen meist erst bei chronischer Exposition auftreten, zeigen sich die Folgen einer Kontamination der Atemluft mit Bioziden kurzfristig (innerhalb 1-2 h), die Belastung der Luft mit Flugöldämpfen meist unmittelbar (innerhalb von 10 Sekunden bis 2-3  Minuten).

Die Ausbringung von Bioziden erfolgt in regelmäßigen Abständen im Rahmen der Betriebserlaubnis des Fluggerätes und bei bestimmten Destinationen in der Vorbereitungsphase des Landeanflugs als Voraussetzung der Landeerlaubnis. Passagiere und Flugpersonal reagieren meist erst nach der Landung auf das versprühte Gemisch von Pyrethroiden und Organophosphaten, wenn sie nicht an einer MCS leiden.

Das Eindringen von Öldämpfen aus den Triebwerken in die Kabinen- und Cockpitluft hingegen ist Folge einer Betriebsstörung. Die In den Motorenölen enthaltenen Organophosphate, allen voran das Trikresylphosphat, verdampfen aus defekten Dichtungen und gelangen in das Frischluftsystem des Flugzeugs. Bei Inhalation verursacht es plötzliche Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Sehprobleme in Form des Tunnelblicks und allgemeine Koordinationsstörungen. Das Cockpitpersonal kann oft nur durch sofortige Reinsauerstoffversorgung über die Sauerstoffmasken seine Pilotentätigkeit ausführen und einen Crash verhindern.

Dieses auch als „Aerotoxisches Syndrom“ bezeichnete Krankheitsbild gefährdet somit nicht nur die individuelle Gesundheit der betroffenen Personen, sondern durch die unmittelbar auftretende Störung der Koordinationsfähigkeit der Flugzeugführung auch die Sicherheit des Flugzeugs und damit die internationale Flugsicherheit selbst. Es ist nicht auszuschließen, dass mancher ungeklärte Flugzeugcrash auf ein akutes Aerotoxisches Syndrom bei den Piloten zurückzuführen ist.

Die hier aufgelisteten physikalischen, biologischen und chemischen Belastungen können jede für sich allein, viel häufiger jedoch durch ihre Kombinationswirkung,  zu chronischen Multisystemerkrankungen mit Einbußen in Lebensqualität, Berufsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit führen.

Je nach Ursache haben diese Gesundheitsstörungen unterschiedliche Codierungen im ICD-10. Bei einigen existieren auch anerkannte Berufskrankheiten mit entsprechenden BK-Nummern.

Für fliegendes Personal und Geschäftsleute, die aus beruflichen Gründen viel fliegen müssen, sind die Auswirkungen des „Sick-Aeroplane-Syndrome’s“ auch von berufsgenossenschaftlicher Relevanz. Im BG-Verfahren muss der Geschädigte im Regelfall die Kausalität der Erkrankung mit dem Fliegen beweisen. Beryllium und Trikresylphosphat tauchen im Regelbetrieb nicht im Innenraum des Flugzeuges auf. Der Nachweis der Substanzen, z.B. an den Auslassdüsen der Lüftung, stellen die Betriebsstörung des Fluggerätes unter Beweis und führen somit zur Beweislastumkehr.

Vergiftungen und Verletzungen durch Chemikalien sind gemäß § 16e des deutschen Chemikaliengesetzes meldepflichtig. Da aber dieser § nicht strafbewehrt ist, haben Zuwiderhandlungen keine strafrechtlichen Konsequenzen. Allerdings könnten unterlassene oder verspätete Meldungen in zivilrechtlichen Schadenersatzverfahren Rechtsrelevanz erlangen.

 

Bezeichnung        ICD-10 normal ICD-10 akzidentiell BK-Nummer
Vergiftung mit Myco-
toxinen (Aflatoxin)
T 64.0 X 49.-  
Vergiftung mit   
Organophosphaten
T 60.0 X 48.- 1307
Vergiftung mit
Trikresylphosphat
T 65.8 X 49.- 1307
Vergiftung mit
Per/Cypermethrin
T 60.1 X 48.-  
Vergiftung mit
Pyrethroiden
T 60.2 X 48.-  
Vergiftung mit
Beryllium
T 56.7 X 49.- 1110
Schädigung durch
Ionisierende Strahlung
W 91.0   2402





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Dr. med Hans-Peter Donate
Stellvertretender Vorstandsvorsitzender
Deutscher Berufsverband der Umweltmediziner
dbu e.V. - Siemensstraße 26a - 12247 Berlin
www.dbu-online.de

Quelle: dbu e.V.